Die Jahre 2022/2023 sind von einer Vielzahl von Belastungsfaktoren geprägt, von denen wir in den letzten Jahren verschont geblieben sind. Nach der Corona-Pandemie war vor dem Ukraine-Krieg – die geopolitischen Spannungen nahmen zu. Damit gab es auch Druck aus dem Energiemarkt, die Preise explodierten und trieben die Inflation an. Lieferkettenprobleme aus der Corona-Zeit wirkten ebenfalls nach und brachten die Teuerungsrate zum Explodieren.
Die Notenbanken reagierten mit einer Straffungspolitik. Quantitative Easing gehörte der Vergangenheit an, dem Markt wird Liquidität durch steigende Zinsen entzogen. Erste Ergebnisse sehen wir bereits, die Inflation ist rückläufig. Doch Druck kommt im Jahr 2023 auch aus dem Bankensektor. Denn Quantitative Tightening führt Probleme zutage, sodass nebst US-Banken wie Signature oder Silvergate auch die Credit Suisse von der UBS übernommen werden musste. Die Notenbanken befinden sich in einer Zwickmühle: Inflationsbekämpfung oder Schutz des Bankensektors?
Deutschland Star-Ökonomen fordern nun im Ökonomenpanel von ifo und FAZ, das am heutigen 4. April erschienen ist, eine dualistische Herangehensweise: Man solle die Zinsen weiter erhöhen, die Inflation bekämpfen und gleichzeitig die Banken stärken. Denn eine gute Nachricht gibt’s auch: Eine schwere Finanzkrise erwarte man nicht.
Konsensschätzung: Inflation bleibt hoch, weitere Zinserhöhungen erforderlich
Nach einer langen Phase expansiver Geldpolitik enteilte die Inflation den Notenbanken. Zwar sehen wir erste Fortschritte, auch in Deutschland geht die Teuerung deutlich zurück, bleibt jedoch immer noch bei der wichtigen Kernrate hoch und manifestiert sich. Die EZB hat zuletzt weiter die Zinsen um 50 Basispunkte angehoben. Doch wie sollten die Notenbanken weiter reagieren, um einerseits die Inflation zu bekämpfen und andererseits systemischen Druck im Finanzsektor zu vermeiden?
Nach expansiver Geldpolitik und Negativzinsen haben Zentralbanken im letzten Jahr auf die galoppierende Inflation mit Zinserhöhungen reagiert. Dies führte zu einem deutlichen Rückgang der Werte festverzinslicher Anleihen, hierher stammen auch die Turbulenzen im Finanzsystem, da Banken massive Buchverluste realisieren mussten. Dennoch befürworten 67 % der befragten VWL-Professoren weiter steigende Zinsen zur Inflationsbekämpfung, während 21 % eine Konsolidierung der Zinsen auf dem aktuellen Niveau befürworten. Die überwiegende Mehrheit der Star-Ökonomen bleibt hawkisch.
Keine schwere Finanzkrise wie 2007/2008
Die Ökonomen sind jedoch geteilter Meinung über die Stabilität des Finanzsystems und die Überwindung der aktuellen Turbulenzen. Doch ist man weitgehend einig, dass keine schwere Finanzkrise wie 2007/08 eintritt. Dafür gibt es diverse Gründe: Die Ausgangssituation und Reaktion auf die Bankenkrise in 2023 unterscheide sich massiv von der globalen Finanzkrise. Zugleich seien die Zentralbanken besser auf Bankenkrisen vorbereitet. Rund 18 % der Befragten halten eine schwere Bankenkrise für möglich, da Krisen stets unkalkulierbar und die Eigenkapitalquoten zu gering sind.
Die Finanzkrise 2007/2008 war eine globale Krise des Finanzsystems, die durch eine Kombination aus leicht zugänglichen Krediten, riskanten Anlageprodukten und unzureichender Regulierung ausgelöst wurde. Die Krise führte zu einem Zusammenbruch von Banken, einem Börsencrash sowie einer weltweiten Rezession.
Mehrheit sieht keine Belastung für deutsches Wirtschaftswachstum
Zuletzt revidierten Ökonomen die Erwartungen für die deutsche Volkswirtschaft in 2023. Nachdem man zunächst eine gravierende Rezession angenommen hatte, dürfte Deutschland mit einem blauen Auge davonkommen. Die Mehrheit der Star-Ökonomen ist ebenfalls guter Dinge, dass die Belastungen im Finanzsystem der deutschen Realwirtschaft 2023 keinen Schaden zufügen – wenn auch denkbar knapp.
44 % der befragten Ökonomen sehen keine Auswirkungen der aktuellen Finanzkrise auf das Wachstum der Realwirtschaft. Mitunter wird dies damit begründet, dass man die Krise bereits erfolgreich überwunden habe. 41 % der befragten VWL-Professoren erwarten jedoch negative Auswirkungen auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt. Die zunehmende Unsicherheit dürfte die Kreditvergabe noch restriktiver gestalten.
Stärkung der Banken erforderlich: Mehr Eigenkapital gefordert
Christine Lagarde, Olaf Scholz & Co. betonten öffentlich, dass der Bankensektor im Euroraum robust und widerstandsfähig ist. Denn dieser verfüge über eine solide Kapital- und Liquiditätsposition. Über die tatsächliche Resilienz des Bankensystems sind die Ökonomen divergierender Meinung.
Während 9 % der Ökonomen der hohen Widerstandsfähigkeit zustimmen und weitere 37 % ihr eher zustimmen, nehmen 22 % eine neutrale Haltung ein. 21 % der Star-Ökonomen stimmen der Aussage eher nicht zu und 8 % stimmen ihr überhaupt nicht zu. Ergo ist ungefähr die Hälfte der Befragten der Ansicht, dass der Bankensektor im Eurogebiet widerstandsfähig ist. Dies lässt wenig Rückschlüsse zu. Eins scheint sicher – wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Allein dies sollte die Schlussfolgerung bedingen, dass sich Anleger gleichermaßen auf verschiedene Szenarien einstellen.
Die Ökonomen sehen zweifelsfrei Handlungsbedarf, um zukünftige Gefahren abzuwenden. Die Risse im Finanzsystem sind mitunter deutlich. Mit mehr Eigenkapital und einer Unterlegung der Staatsanleihen könne man die Risiken minimieren. 72 % der befragten Ökonomen sind der Meinung, dass europäische Banken nach den aktuellen Turbulenzen ihre Eigenkapitalquoten erhöhen müssen. Denn die Eigenkapitalquoten liegen bei 8-11,5 % für das risikogewichtete Vermögen und das gesamte Eigenkapital.
Mit mehr Eigenkapital könnte man das Risikobewusstsein erhöhen und Banken adäquat vor einem Bank-Run bewahren. Nur 16 % der Ökonomen sind gegen höhere Eigenkapitalquoten, da sie damit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Banken beeinträchtigt sehen. Zugleich fordern rund drei Viertel der Ökonomen eine zukünftige Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen-Portfolios. Hiermit könne man sich gegen Kredit- und Zinsänderungsrisiken besser absichern – genau diese Problematik führte in den USA zu den größten Insolvenzen seit der globalen Finanzkrise.