Aktien

Die Zinsen notieren auf einem langjährigen Hoch. Die grassierende Inflation trieb Notenbanken weltweit dazu an, die Leitzinsen zu erhöhen. Nach einer jahrelangen lockeren Geldpolitik kam es zum Pivot. Die Falken übernahmen das Ruder und strafften die Geldpolitik mit aggressiven Zinserhöhungen, in einem mitunter beeindruckenden Tempo. Zwar dürfte der Zinserhöhungszyklus am Höhepunkt angekommen sein (oder diesen zeitnah) erreichen. Dennoch preiste der Markt ursprünglich erste Zinssenkungen zum Ende des Jahres ein. Die Notenbanken – Federal Reserve & EZB gleichermaßen – beteuerten jedoch mehrfach, dass eine schnellere Lockerung der Geldpolitik nicht indiziert ist.

Während dies risikobehaftete Assetklassen eigentlich massiv belasten müsste, zeigen sich die Märkte 2023 resilient. Der S&P 500 stieg im laufenden, ersten Halbjahr um 13,2 %. Denn hohe Zinsen & Aktien ist vielleicht keine bullische Kombination. Dennoch gibt es eben selten nur „Schwarz“ und „Weiß“.

Zinsen bleiben hoch: Kommt der Aktien-Crash?

Der Tenor der Notenbanken ist klar. Die Zinsen bleiben länger hoch als viele Anleger erwarten. Während der Markt zunächst dem neuen Narrativ kaum Glauben schenken konnten, wandelten sich zuletzt die diesbezüglichen Annahmen. Das Fed Watch Tool der CME Group offenbart die Wahrscheinlichkeiten, mit denen der Markt einzelne Zinsniveaus in der Zukunft erachtet.

Fed Zinsen

Hier wird die erste Lockerung der Geldpolitik in den USA erst im ersten Quartal 2024 eingeplant. Ende 2024 sollen die Zinsen dabei immer noch zwischen 3,75 und 4,0 % liegen. Damit scheint klar – der Kampf gegen die Inflation bleibt hartnäckig. Die Politik des lockeren Geldes wird (wahrscheinlich) irgendwann wieder zurückkehren, aber eben noch nicht in 2023/2024, Stand jetzt.

Doch müssten Aktien dann nicht eigentlich crashen? Schließlich sind doch steigende Zinssätze negativ für risikobehaftete Assetklassen. Liquidität im Markt geht zurück, Bewertungsmethoden, die zukünftige Cashflows diskontieren, erachten nun eine niedrigere Bewertung für angemessen. Dennoch steigen viele Indizes und Aktien, warum?

Goodbye Crash-Propheten: Hohe Zinsen bedeuten „Kein Crash“

Im Juni 2023 unterscheiden sich die mittelfristigen Zinserwartungen aus dem obigen Chart deutlich vom Stand vor zwei Monaten. Denn damals gab es in den USA die Anfänge einer Bankenkrise. Die Risse im Finanzsektor wurden deutlich, insbesondere bei den Regionalbanken, die unter den rasant steigenden Zinsen ächzten.

Stark steigende Zinsen können auch für Banken kurzfristig ein Bilanzrisiko darstellen, insbesondere wenn sie einen erheblichen Teil ihres Kapitals in Staatsanleihen halten. Wenn die Zinsen steigen, fallen die Preise von festverzinslichen Wertpapieren wie Staatsanleihen. Dies führt zu unrealisierten Verlusten in den Büchern der Banken. Darüber hinaus können höhere Zinsen dazu führen, dass neue Staatsanleihen mit höheren Kupons ausgegeben werden, was wiederum die Rendite der bereits gehaltenen Anleihen mindert. Dieses Zinsrisiko kann kurzfristig zu Wertminderungen führen und die Kapitalposition der Banken beeinträchtigen, da sie möglicherweise auf Veräußerungen zu niedrigeren Preisen angewiesen sind, um Liquidität zu generieren.

Die Annahme, dass die Zinsen schnell wieder sinken, war somit dem steigenden Crash-Risiko im Bankensystem geschuldet. Da die Federal Reserve jedoch nach einer fundierten Risikoevaluation eine „Higher for Longer“-Geldpolitik für praktikabel hält, dürften Crash-Propheten auch in 2023 abermals enttäuscht sein. Denn eine neue Finanzkrise wird es, Stand jetzt, nicht geben. Insoweit kann der Markt die höheren Zinsen eben auch derart interpretieren, dass eine noch viel schlimmere Banken- und Finanzkrise ausbleibt.

Die Aktienmärkte sind multikausal

Es gibt verschiedene Gründe für steigende Aktienkurse, die über die Zinsen hinausgehen. Der aktuelle Hype um KI-Technologie und innovative Unternehmen kann das Anlegerinteresse wecken und zu Kurssteigerungen führen. Dies könnte mitunter in einigen Bereichen eine Blasenbildung begünstigen.

Eine stärker als erwartete Wirtschaftsentwicklung, verbesserte Unternehmensgewinne oder positive Markttrends können ebenfalls den Aktienmarkt antreiben.

Darüber hinaus agiert der Markt nicht immer rational. Emotionen, Spekulationen und Herdenverhalten können zu Kursbewegungen führen, die nicht zwangsläufig auf fundierten Argumenten basieren. Die Aktienmärkte können von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden, eben auch von irrationalen oder nicht direkt rational nachvollziehbaren Beweggründen.

Der Markt handelt die Zukunft und versucht, die Erwartungen an zukünftige Entwicklungen einzupreisen. Die übliche Zeitspanne, über die der Markt antizipiert, liegt oft bei mehreren Monaten bis zu einem Jahr. Damit dürfte der Pivot dann wahrscheinlich erreicht sein. Sinkende Zinsen werden wieder wahrscheinlicher – und vielleicht überrascht uns die Fed ja auch mit einer schnelleren Lockerung der Geldpolitik. Insoweit scheint der Markt aktuell eher ein Worst-Case-Szenario einzupreisen und gewährt der Fed viel Spielraum, die Zinsen länger hochzuhalten.

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