Die Stanford University hat einen neuen „Artifical Intelligence Index Report 2023“ veröffentlicht, der einige spannende Rückschlüsse zum Megatrend „Künstliche Intelligenz“ ermöglicht. Denn nach der Veröffentlichung von ChatGPT und dem aktuellen Wettrüsten bei Big Tech ist ein regelrechter Hype um das Trendthema entstanden. Den dystopischen Szenarien stehen hier hoffnungsvolle Zukunftsausblicken gegenüber – oftmals mangelt es beiderseitig an einer wissenschaftlichen Betrachtung des Status quo, welche die Stanford-Studie nun bewerkstelligen möchte.
Den Report selbst beschreiben die Verfasser wie folgt:
„Der AI Index ist eine unabhängige Initiative des Stanford Institute for Human-Centered Artificial Intelligence (HAI), die vom AI Index Steering Committee geleitet wird, einer interdisziplinären Gruppe von Experten aus Wissenschaft und Industrie. Der jährliche Bericht verfolgt, sammelt, destilliert und visualisiert Daten im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz und ermöglicht es Entscheidungsträgern, sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, um die KI verantwortungsvoll und ethisch mit Blick auf den Menschen voranzubringen.“
Industrie übernimmt die Führung: Akademische Forschung rückt in den Hintergrund
Bis zum Jahr 2014 stammten die meisten wichtigen Modelle für maschinelles Lernen aus der akademischen Welt. Seitdem hat jedoch die Industrie sukzessive die Führung übernommen und den Spitzenplatz inne. Im Jahr 2022 wurden 32 bedeutende Modelle für maschinelles Lernen von der Industrie entwickelt, im Vergleich zu nur drei Modellen aus dem akademischen Bereich. Um KI-Systeme auf dem neuesten Stand der Technik zu entwickeln, sind zunehmend große Mengen an Daten, Computerleistung und finanziellen Ressourcen erforderlich. Die Industrie verfügt von Natur aus über größere Ressourcen und macht diese Wettbewerbsvorteile geltend.
Die Tatsache, dass die Industrie mittlerweile die Führung in der KI-Forschung übernommen hat und nicht mehr wie früher der akademische Bereich, hat Chancen und Risiken für den Fortschritt und die wissenschaftliche Fundierung der KI-Entwicklung.
Einerseits ist die Industrie vornehmlich in der Lage, KI-Technologien schnell in praktische Anwendungen umzusetzen. Unternehmen haben oft die finanziellen Ressourcen und das Fachwissen, um Forschungsergebnisse in marktfähige Produkte und Dienstleistungen zu transformieren. Diese schnelle Umsetzung kann dazu beitragen, dass KI-Technologien schneller und effektiver eingesetzt werden und die gesellschaftliche Adoption vorantreibt. Zugleich ist die industrielle KI-Forschung stärker auf konkrete Anwendungen ausgerichtet und somit besser an den Bedürfnissen der Gesellschaft orientiert.
Andererseits sind der industriellen Dominanz auch Risiken immanent. Zum Beispiel könnten Unternehmen geneigt sein, Forschungsergebnisse geheim zu halten, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Dies könnte dazu führen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht geteilt werden und somit der Fortschritt in der KI-Forschung gebremst wird. Ebenfalls könnte die Industrie möglicherweise eher kurzfristig orientiert agieren und langfristige Sicherheitsfragen vernachlässigen.
Eine enge Zusammenarbeit und ein Austausch von Wissen sowie Ressourcen zwischen den beiden Bereichen könnte dazu beitragen, dass der Fortschritt in der KI-Forschung beschleunigt wird, wissenschaftlich fundiert bleibt und zugleich ethische Fragen ausreichend einbezogen werden.
ChatGPT in guter Gesellschaft: Language-Modelle in der Überzahl
Die Bedeutung von Sprachsystemen in der KI-Forschung wird durch die Tatsache unterstrichen, dass im Jahr 2022 die meisten bedeutenden, veröffentlichten KI-Lernsysteme auf Sprache spezialisiert waren. Insgesamt wurden im Jahr 2022 23 bedeutende KI-Sprachsysteme veröffentlicht, was etwa sechsmal so viele sind wie der nächst häufigste Systemtyp – die multimodalen Systeme. ChatGPT ist somit nicht allein, vielmehr dominieren die Language-Modelle.
Diese Institutionen sind führend bei der Veröffentlichung von KI-Publikationen
Seit 2010 ist die Chinesische Akademie der Wissenschaften die führende Institution in der Veröffentlichung von AI-Papieren. Die nächsten Top-Institutionen sind allesamt chinesische Universitäten, darunter die Tsinghua-Universität, die Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, die Shanghai Jiao Tong Universität und die Zhejiang Universität. Dies spiegelt Chinas Engagement und Investitionen in die KI-Forschung wider. Schließlich hat die Regierung die Strategie bekannt gegeben, weltweit führend in der KI-Entwicklung zu werden. Doch Quantität ist nicht gleich Qualität – dies gilt es auch hier zu bedenken.
Chinas Bevölkerung besonders aufgeschlossen gegenüber KI
Gemäß einer IPSOS-Umfrage im Jahr 2022 waren 78 % der befragten Chinesen der Ansicht, dass Produkte und Dienstleistungen, die KI einsetzen, mehr Vor- als Nachteile haben – ein Spitzenplatz in der Umfrage. Die Befragten aus Saudi-Arabien (76 %) und Indien (71 %) äußerten sich ebenfalls positiv über KI-Produkte. Im Gegensatz dazu stimmten nur 35 % der befragten Amerikaner der Aussage zu, dass KI-Produkte mehr Vorteile als Nachteile haben.
The U.S. is in a long-term technology competition with China, but pure decoupling is a weak strategy.
The best strategy for staying ahead of China in AI includes working with China when the U.S. benefits more.
My full op-ed in @TIME https://t.co/LoHlLqXvSg
— Paul Scharre (@paul_scharre) April 18, 2023
Eine Stichprobe von befragten Amerikanern ergab unterschiedliche Gründe für die verbreitete Skepsis. Diejenigen, die sich über KI freuen, sind am meisten von ihrem Potenzial begeistert, das Leben und die Gesellschaft zu verbessern (31 %). Wer eher besorgt ist, befürchtet den Verlust menschlicher Arbeitsplätze (19 %), mehr Überwachung (16 %) sowie die sinkende Relevanz menschlicher Beziehungen (12 %).
Die Zustimmung und Offenheit einer Bevölkerung spielen eine entscheidende Rolle bei der Adoption von neuen Technologien wie KI. Wenn eine Bevölkerung skeptisch oder ängstlich gegenüber einer Technologie ist, wird sie wahrscheinlich langsamer profitieren. Unternehmen und Regierungen müssen daher sicherstellen, dass die Vorteile von KI deutlich kommuniziert werden und sich gleichzeitig um Bedenken kümmern. Die Zusammenarbeit mit der Öffentlichkeit und die Berücksichtigung ihrer Bedenken können dazu beitragen, die Akzeptanz und Integration von KI zu fördern.