Stagflation

 

„Erst Stagflation, dann Rezession – Deutschland droht ein eisiger Winter“ – so titelte vor wenigen Tagen die Neue Zürcher Zeitung und beschreibt das Risiko einer Stagflation in Deutschland. Das Schreckgespenst aus hoher Inflation und schwacher Konjunktur ist für viele Ökonomen das Thema im Jahr 2022. Zunehmend fragen sich die Anleger in Deutschland, wie sie mit der Stagflation umgehen können und welche Gefahren drohen.

Bereits im Juni äußerte sich der Präsident der Weltbank David Malpass wie folgt:

„The war in Ukraine, lockdowns in China, supply-chain disruptions, and the risk of stagflation are hammering growth. For many countries, recession will be hard to avoid”

Was ist eine Stagflation?

Viele Anleger wurden noch nie mit einer Stagflation konfrontiert. Im Jahr 2022 ist der Terminus der Stagflation jedoch omnipräsent. Zunehmend warnen Analysten vor einer Stagflation, die der immer wahrscheinlicher werdenden Rezession vorgelagert ist. Mit der Stagflation wird grundsätzlich eine Zeit beschrieben, die von einem nachlassenden Wirtschaftswachstum in Verbindung mit einer ansteigenden Inflationsrate gekennzeichnet ist.

Die Inflationsraten befinden sich in den USA, Deutschland und vielen weiteren Ländern um ein Vielfaches höher als die für die Preisstabilität angepeilte Rate von 2 %. Zugleich schwächt sich das Wirtschaftswachstum spürbar ab. Die USA rutschten bereits vor einigen Wochen in eine technische Rezession.

Die Wirtschaft stagniert, die Inflation vernichtet die Kaufkraft. Der Neologismus Stagflation, der aus den Termini Stagnation & Inflation zusammengesetzt wird, beschreibt das wirtschaftliche Dilemma. 

Vorsicht Stagflation: diese Auswirkungen drohen

Die potenziellen Auswirkungen einer Stagflation auf die Wirtschaft sind mannigfaltig. Einige Auswirkungen spüren die Menschen in Deutschland bereits heute, andere Folgen dürften in absehbarer Zukunft eintreten. Die konkrete Ausprägung der typischen Auswirkungen hängt auch immer davon ab, wie die Notenbanken mit der Geldpolitik reagieren, welche sonstigen konjunkturellen Einflussfaktoren auftreten und wie sich die Reaktion von Verbraucher und Unternehmen darstellt. Fünf verbreitete Auswirkungen der Stagflation, die auch im Jahr 2022 auftreten, sind die Folgenden.

Erzeugerpreise steigen an Erst in dieser Woche vermeldete das Bundesamt für Statistik einen Anstieg der Erzeugerpreise um 45,8 % im Vergleich zum Vormonat. Insbesondere die hohen Energiekosten fachen das Wachstum an.
Verbraucherpreise steigen an Der Verbraucherpreisindex stieg in den vergangenen Monaten um rund 8 % an. Ende des Jahres werden sogar zweistellige Inflationsraten erwartet.
Arbeitslosigkeit steigt Trotz der Krisen bleibt der Arbeitsmarkt noch weitgehend robust. Dies könnte sich jedoch post Stagflation ändern, wenn die hohen Zinsen eine Rezession begünstigen und die Unternehmen zunehmend Mitarbeiter entlassen.
Bruttoinlandsprodukt sinkt Mit zwei aufeinanderfolgenden Quartalen, in denen das BIP in den USA sank, befindet sich die größte Volkswirtschaft in einer technischen Rezession. In Deutschland ließ das Wachstum bis dato zumindest signifikant nach. 
Vertrauen in Finanzmärkte lässt nach Die stark korrigierenden Aktienmärkte spiegeln schon jetzt das sinkende Vertrauen in den Finanzmarkt wider. Der schwache Euro trägt dazu bei, dass auch die Stabilität der Gemeinschaftswährung zunehmend infrage gestellt wird.

Aktien bei Stagflation: Finger weg oder „Jetzt-erst-Recht“?

Grundsätzlich können Anleger auch in Zeiten einer Stagflation erfolgreich investieren und insbesondere bei einem langfristigen Anlagehorizont die temporär fallenden Aktienkurse für einen Einstieg bei vielversprechenden Unternehmen nutzen. Allerdings ist eine selektive Auswahl der besten Aktien, die eine vergleichsweise hohe Resistenz gegen Stagflation haben, von enormer Relevanz. 

Hohe Inflation & steigende Zinsen: diese Kriterien sind für Anleger wichtig  

Wer mit zunehmender Selektivität in Aktien investieren möchte, sollte in Zeiten der Stagflation bei einer fundamentalen Recherche verschiedene Kriterien berücksichtigen. Primär die Preissetzungsmacht, die Widerstandsfähigkeit der Supply Chain, die Höhe der Zinsaufwendungen sowie die Abhängigkeit von der Konjunktur beeinflussen den Erfolg der Unternehmen in Zeiten der Stagflation, die wiederum Einfluss auf die Entwicklung des Aktienkurses nimmt.

Preissetzungsmacht der Unternehmen  

Mit einer hohen Preissetzungsmacht können diese Unternehmen einen beträchtlichen Teil der explodierenden Kosten an die Kunden weitergeben. Dies gelingt dann, wenn die Verbraucher bereit sind, höhere Preise für die Produkte zu bezahlen. Beispielsweise ist bei Apple die Nachfrage nach iPhones konstant hoch. Die Kunden des Unternehmens aus Cupertino sind bereit, auch höhere Preise für die sowieso bereits wenig preisgünstige Hardware von Apple zu bezahlen.

Beispiele: Luxus, Software, Energie & Basiskonsumgüter

Stabilität der Lieferketten  

Probleme in den globalen Lieferketten gelten als einer der Auslöser für die ausufernde Inflation. Wenn Unternehmen eine lange, komplexe und internationale Lieferkette haben, sind diese stärker betroffen. Unternehmen ohne physische Produkte agieren deutlich unabhängiger.

Beispiele: Software & Dienstleistungen

Relevanz der Zinsaufwendungen  

Notenbanken bekämpfen die steigende Inflation mit Zinsschritten. In den USA soll der Leitzins im nächsten Jahr auf über 4,5 % angehoben werden. Unternehmen müssen mehr Zinsaufwendungen leisten. Je niedriger die Zinsaufwendungen in Relation zum EBIT der Unternehmen sind, desto geringer ist das Zinsrisiko. Bestenfalls müssen die Unternehmen weniger als 5 % des EBITs für die Zinsen aufwenden.

Beispiele: Visa, Mastercard, Microsoft, Novo Nordisk und viele weitere

Abhängigkeit von der konjunkturellen Entwicklung  

Die steigenden Zinsen schwächen das Wirtschaftswachstum ab. Investitionen und Konsumausgaben sinken. Wenn ein Geschäftsmodell konjunkturanfällig ist, werden die besagten Unternehmen besonders stark getroffen. Bestenfalls sinkt auch bei einem rückläufigen Wirtschaftswachstum der Umsatz nur leicht.

 Beispiele: Versicherungen, Gesundheit & Energie