Europa Wirtschaft

Europa durchlebt eine herausfordernde Phase in seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Angesichts globaler Unsicherheiten, technologischer Umbrüche und geopolitischer Spannungen steht der Kontinent vor einer großen Aufgabe. Europa muss seine Wirtschaft neu positionieren und zukunftssichere Strategien entwickeln. Diese Herausforderungen erfordern eine Neubewertung traditioneller Ansätze. Europa muss seine Stärken in Innovation und technologischer Entwicklung nutzen, um nicht nur mit anderen großen Wirtschaftsräumen wie den USA und China mithalten zu können, sondern auch um eine führende Rolle in der neuen globalen Wirtschaftsordnung zu übernehmen.

In einer aktuellen Studie hat sich die Unternehmensberatung McKinsey nun mit sieben drängenden Herausforderungen für Europas Wettbewerbsfähigkeit beschäftigt. Die Einleitung beginnt mit den folgenden Worten, die zugleich die Relevanz für Europa herausstellen.

„Die turbulenten Zeiten haben neue Schwachstellen in den europäischen Volkswirtschaften aufgezeigt. Deren Behebung könnte der Katalysator für eine neue Welle von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sein.“

Neuausrichtung auf technologische Innovation

Die Studie betont, dass Europas traditionelles Industriemodell durch die beschleunigte technologische Disruption unter Druck gerät. Besonders betroffen sind etablierte Sektoren wie die Automobil-, Luft- und Raumfahrt- sowie die Pharmaindustrie. Denn diese sind alle einem starken globalen Wettbewerb ausgesetzt. Während Europa bei nächsten Generationen von Materialien und sauberen Technologien führend ist, besteht Nachholbedarf in Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz und Quanten-Computing. Dies spiegelt sich auch in den Investitionen wider: Im Jahr 2023 flossen in den USA 23 Milliarden US-Dollar in KI-Technologien, während Europa lediglich 1,7 Milliarden investierte. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss Europa laut McKinsey seine Forschungs- und Entwicklungsbudgets verdoppeln und strategische Investitionen in zukunftsträchtige Bereiche tätigen.

Energie-Diversifikation und Entwicklung heimischer Quellen

Die Studie unterstreicht ferner die Notwendigkeit für Europa, eine ausreichende und bezahlbare Energieversorgung zu sichern, um energieintensive Industrien wie Landwirtschaft, Chemie, Stahl oder Schifffahrt wettbewerbsfähig zu halten. Ein ambitioniertes Ziel könnte es hier sein, die Kosten für Strom und Gas zu halbieren. Der Fortschritt bei erneuerbaren Energien sei eindrucksvoll: 2022 stammten 22 Prozent des Stroms in der EU-27 aus Wind- und Solarenergie, verglichen mit nur 6 Prozent im Jahr 2010. Die Anbindung an neue Energielieferanten könnte neue Abhängigkeiten schaffen, während eine Rückkehr zur heimischen Förderung fossiler Brennstoffe den Umweltverpflichtungen Europas widersprechen würde.

Kernfusion ist kommerziell noch nicht verfügbar. Hier stelle sich laut Analysten die Frage, welche Energiequellen Europa schnell einführen kann und welche Finanzierungen den Übergang zu kommerziell tragfähigen Alternativen ermöglichen könnten. Neben dem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien umfassen die vorgeschlagenen Maßnahmen Investitionen in kostengünstigere Energiequellen und Innovationen zur Kostensenkung sowie das Management von neuen und bestehenden Energiesystemen.

Kapitalkosten und Investitionsdynamik in Europa

Europa sieht sich mit steigenden Kapitalkosten konfrontiert, die die geringeren Renditen und Investitionslücken im Vergleich zu den USA aufzeigen. Während der Ära niedriger Zinsen war die um 20 Prozent geringere Kapitalrendite europäischer Firmen im Vergleich zu US-Unternehmen weniger problematisch. Doch mit den nun steigenden Zinsen und dem großen Kapitalbedarf für den Übergang zu Netto-Null-Emissionen und zur Innovationsförderung stehen europäische Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Investitionsstrategien zu überdenken. Europa hat traditionell weniger in neue Unternehmen investiert als die USA. Europas Kapitalmärkte weisen deutlich geringere Mittel in Private Equity und Venture Capital auf. Um dies zu überwinden, könnte Europa seine Kapitalmarktstrukturen stärken und Pensionsfonds besser nutzen, um in wachstumsorientierte Projekte zu investieren.

Diversifizierung und Stärkung der europäischen Lieferketten

In einer zunehmend fragmentierten Welt muss Europa möglicherweise intensiver daran arbeiten, den Zugang zu einer sicheren und nachhaltigen Versorgung mit strategisch wichtigen Materialien zu gewährleisten. Eine Strategie könnte die weitere Diversifizierung globaler Lieferanten sein, wobei Vorsicht geboten sei, wenn diese aus geopolitisch nicht ausgerichteten Märkten stammen. Eine weitere Möglichkeit laut McKinsey wäre die Erschließung neuer inländischer Quellen, obwohl Umweltbedenken hinsichtlich der Gewinnung kritischer Mineralien wie Lithium, Kobalt und Graphit bestehen.

Diverse Maßnahmen zielen darauf ab, bis zum Ende des Jahrzehnts mindestens 10 Prozent des jährlichen EU-Verbrauchs wichtiger Materialien inländisch zu fördern und mindestens 40 Prozent innerhalb der EU zu verarbeiten. Die Umsetzung dieser Ziele stellt jedoch eine Herausforderung dar, insbesondere wegen der hohen Energiekosten in Europa.

Talentförderung und Technologieadaption in Europa

In Europa ist ferner die rasche Umschulung und Neupositionierung von Arbeitskräften ein zentraler Faktor, um die Technologieadoption und den Übergang zu Netto-Null-Emissionen zu beschleunigen. Etwa 18 Millionen Arbeitskräfte müssen im Rahmen des Netto-Null-Übergangs neue Rollen übernehmen. Automation und andere Technologietrends werden noch größere Verschiebungen in den Arbeitsrollen und -tätigkeiten bewirken, die notwendig sind, um das volle produktivitätssteigernde Potenzial neuer Technologien auszuschöpfen. Zusätzlich zur Umschulung ist es demnach entscheidend, Spitzenkräfte zu entwickeln und anzuziehen, insbesondere in führenden Bereichen wie KI. Europas Entscheidungsträger könnten auch freie Handelsabkommen zu “Freizügigkeitsabkommen für Talente” erweitern oder Steueranreize für einwandernde sowie zurückkehrende Talente einführen.

Unternehmen können mit Bildungseinrichtungen und politischen Entscheidungsträgern an Umschulungsprogrammen und der Schaffung neuer Karrierewege arbeiten, insbesondere für Arbeitnehmer in der Mitte ihrer Karriere, die sich auf neue Arbeitsbereiche vorbereiten müssen oder wollen.

Skalierung in Europas fragmentierter Wirtschaft

Obwohl Europas Wirtschaft mit einem Volumen von etwa 21 Billionen US-Dollar in 2022 vergleichbar mit den Ökonomien der USA und Chinas ist, bleibt Europa fragmentiert. Dies erschwert es europäischen Unternehmen, effektiv zu skalieren. Die Gesamteinnahmen aller börsennotierten Unternehmen in Europa mit mehr als einer Milliarde Dollar Umsatz beliefen sich auf 12 Billionen Dollar, verglichen mit 18 Billionen in den USA. Dies führt dazu, dass Unternehmen in Branchen wie Telekommunikation, Luftfahrt und Verteidigung, d 30 Prozent weniger Umsatz pro Unternehmen erzielen als ihre US-Pendants. Zudem liegt die Bewertung der führenden europäischen Unternehmen im Vergleich zu ihren US-Pendants deutlich geringer. Dies macht sie anfälliger für Übernahmen. Trotz einiger Erfolge, wie bei Northvolt, Doctolib und Bolt, beherbergt Europa nur 13 Prozent der weltweiten Unicorns. Demgegenüber sind es in den USA 50 Prozent. Dies zeigt bereits massive Unterschiede bei den potenziell erfolgreichen Unternehmen von Morgen.

Wettbewerb und Marktregulierung in Europa

Weltweit entbrennt ein Wettlauf, um in dynamischen Wachstumsbereichen wie KI und New Energy die Führung zu übernehmen. Andere Volkswirtschaften gestalten und implementieren bereits Politiken, die Investitionen anziehen und Innovationen in diesen Bereichen vorantreiben. Um Schritt zu halten, muss Europa nach Auffassung der Strategen von McKinsey die Haltung zu Finanzierung, Regulierung und Verwaltung überdenken.

In der Regulierung steht zur Debatte, ob Europa weiterhin einen vorsichtigen Ansatz verfolgen oder mehr Risikobereitschaft ermöglichen sollte. Damit wäre es möglich, schnelllebige Chancen zu nutzen. Zudem könnte Europa die Verwaltungslast und Genehmigungszeiten verringern, um Unternehmen mehr Flexibilität zu gewähren.