Den Wohlstand, den uns die vorhergehenden Generationen erarbeitet haben, steht auf der Kippe. Mit einem vernichtenden Ausblick schaut die KfW nun nach rund 70 Jahren Wachstum beim Wohlstand in eine unsichere Zukunft, die insbesondere durch den signifikanten Fachkräftemangel geprägt sein wird. Denn bereits jetzt behindert das Fehlen von Fachkräften jedes zweite Unternehmen in Deutschland in ihrer Geschäftstätigkeit. Deutschland setzt seinen Wohlstand auf das Spiel: „Das Fundament für weiteres Wohlstandswachstum bröckelt.“
Deutscher Wohlstand in Gefahr: Negative Implikationen für Klimaschutz
Mit Ausnahme von kurz andauernden Rezessionen – eine Weitere könnte 2023 folgen – wuchs der Wohlstand in Deutschland in den vergangenen sieben Jahrzehnten. Die steigende Anzahl an Erwerbstätigen und leichte Erhöhungen der Produktivität führten dazu, dass wirtschaftliches Wachstum als gegeben hingenommen wurde. Im internationalen Wettbewerb konnte die deutsche Volkswirtschaft über weite Strecken mithalten, obgleich man zuletzt die Wettbewerbsfähigkeit zunehmend einbüßte. Nach Ansicht der KfW ist ein Umdenken erforderlich – denn der Status quo korrespondiert nicht mehr mit der Entwicklung der vergangenen 70 Jahre.
„Diese Zeiten sind vorbei. Das Fundament für weiteres Wohlstandswachstum bröckelt.“
Maßgebliche Ursache für den unsicheren Ausblick sei der Fachkräftemangel, der die Tätigkeit vieler Unternehmen behindert. Sollte sich der Fachkräftemangel manifestieren und keine adäquaten Lösungen etabliert werden, könnte Deutschland noch in diesem Jahrzehnt mit einem stagnierenden Wachstum konfrontiert werden. Schlimmstenfalls würde der Wohlstand sogar sukzessive schrumpfen.
Dies hätte jedoch gravierende Auswirkungen. Denn bereits die aktuelle Krise offenbarte, dass wichtige langfristige Ziele wie der Klimaschutz in den Hintergrund rücken, wenn es um kurzfristige Wohlstandsverluste geht.
Das Ziel sei somit klar. Die Politik müsse es schaffen, mit den geeigneten Maßnahmen, den Wohlstandsverlust zu verhindern.
Signifikante Steigerung der Erwerbsquote erforderlich
Eine potenziell erfolgreiche Maßnahme wäre die Steigerung der Erwerbsquote, um den aktuellen Fachkräftemangel auszugleichen. Möchte man den demografisch bedingten Rückgang des Angebots an Fachkräften durch die Steigerung der Erwerbsquote kompensieren, wäre eine Steigerung der Erwerbsquote von 79 auf 89 % bei den 15-64-Jährigen erforderlich. Insbesondere Frauen seien hier eine geeignete Zielgruppe, um den Ausfall der Fachkräfte zu kompensieren. Die Rente mit 67 bewirkt nach der KfW-Studie zu wenig, unberücksichtigt bleiben hier natürlich gesellschaftspolitische Aspekte.
Über eine Million Zuwanderer pro Jahr erforderlich
Oftmals wird eine qualifizierte Zuwanderung als das entscheidende Mittel gegen Zuwanderung verstanden. Doch auch hier unterschätzen viele Menschen das Ausmaß. Bereits in 2022 hätten saldiert über 1 Million Menschen im erwerbsfähigen Alter nach Deutschland einwandern müssen, um die Schrumpfung des inländischen Fachkräfteangebots abzumildern bzw. zu kompensieren. Die Zahl würde bis 2025 auf 1,3 Millionen Zuwanderer steigen. Dabei referiert die KfW auf grundsätzlich gleiche Qualifikationen, die ausländische Arbeitnehmer aufweisen müssten. Sollten Deutschkenntnisse oder Berufsabschlüsse nicht in ausreichendem Umfang vorhanden sein – wohl die wahrscheinlichere Option – bräuchte es saldiert sogar 1,8 Millionen Zuwanderer pro Jahr.
„Eine andauernde Nettozuwanderung in dieser Größenordnung erscheint unrealistisch. Um so wichtiger wäre es, die Bedingungen für eine weitere Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Inländern, insbesondere von Frauen, aber auch für eine weitere Erhöhung der Arbeitsproduktivität zu verbessern.“
Mehr Produktivität als Lösung: Kann Automatisierung den Fachkräftemangel abmildern?
Mit diesem Zitat auf der KfW-Studie sind wir schon beim nächsten Lösungsansatz. Denn die Arbeitsproduktivität stieg in den letzten Jahren nur um 0,3 % pro Jahr. Die Arbeitsproduktivität müsste in den nächsten Jahren signifikant erhöht werden, um das sinkende Angebot an Fachkräften zu kompensieren. Pro Erwerbstätigen würde ein Produktivitätswachstum von 1 % pro Jahr nach KfW-Berechnungen erforderlich sein.
Dies könnte mit einer zunehmenden Automatisierung der Tätigkeiten gelingen. Zugleich scheint eine Ausweitung der Arbeitsstunden ein probates Instrument, wenn auch hier die politische Umsetzbarkeit zumindest infrage gestellt werden dürfte. Der wichtigste Hebel dürfte jedoch Investitionen in die Automatisierung sein. Im internationalen Vergleich steht Deutschland hier wider Erwarten sogar auf einem Top-10-Platz, wenn man die Roboterdichte im produzierenden Gewerbe betrachtet.
Es gibt nicht die eine Lösung
Die eine Lösung für den Erhalt unseres Wohlstands gibt es nicht. Vielmehr empfehlen die Experten der KfW in ihrer Studie drei Stellschrauben, mit welchen man den Fachkräftemangel bekämpfen und Wohlstand bewahren könnte. Zum einen müsse die Erwerbsquote in Deutschland ansteigen, insbesondere, aber nicht nur bei Frauen. Zum anderen sollten qualifizierte Zuwanderer mehr Anreize erhalten, um in Deutschland zu arbeiten. Last but not least verspricht auch eine Steigerung der Arbeitsproduktivität Erfolg. Nur bei einem kumulierten Wirken dieser Maßnahmenpakete scheint der Fachkräftemangel händelbar.