Deutschland galt lange als wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, geprägt durch starke Industrien wie den Automobil- und Maschinenbau. Allerdings war das Land in den letzten Jahren nicht immer als technologisch führend bekannt. Während andere Branchen weiterhin für stabiles Wirtschaftswachstum sorgten, blieb die Innovationskraft in Bereichen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Start-ups weit hinter anderen Staaten zurück. Gründe dafür sind unter anderem eine konservative Investitionspolitik, komplexe bürokratische Strukturen sowie ein Mangel an Risikokapital für innovative Projekte.
Doch es könnte alles noch deutlich schlimmer sein als gedacht. Denn eine neue Studie von EY zeigt, dass Deutschland im Technologie-Wettrüsten mittlerweile weit abgehängt ist.
Deutsche CEOs skeptisch: Unternehmen hierzulande kaum disruptiv
Deutsche Unternehmensführer stehen vor einer massiven Herausforderung. Ihre Unternehmen scheinen im internationalen Vergleich wenig anpassungsfähig. Laut einer Studie von EY glauben nur 25 Prozent der deutschen CEOs, dass ihr Unternehmen in der Lage ist, schnell auf neue Trends und Marktveränderungen zu reagieren. Im globalen Durchschnitt liegt dieser Wert bei 38 Prozent, während in China sogar 50 Prozent der CEOs davon überzeugt sind.
Diese Diskrepanz deutet auf strukturelle Defizite in Deutschland hin. Besonders die langsame Digitalisierung und die vergleichsweise zögerliche Einführung innovativer Technologien behindern die Wettbewerbsfähigkeit.
So zieht der Leiter „Strategy und Transactions“ bei EY folgendes Fazit:
„Die aktuelle Krise in Deutschland hängt nicht nur mit der schwachen weltweiten Konjunktur zusammen. Zu einem erheblichen Teil sind die Probleme hausgemacht: Viele deutsche Konzerne sind schwerfällig geworden und reagieren zu langsam auf neue Trends bzw. unterschätzen deren Bedeutung“
Unterschiedliche Einschätzungen zu Gründen: Deutsche CEOs konservativer
Die Einschätzungen darüber, welche Trends Unternehmen bedrohen könnten, variieren nach der Umfrage deutlich zwischen deutschen und asiatischen CEOs. In Deutschland betrachten rund 40 Prozent der Unternehmensführer traditionelle Risiken wie veränderte Kundenbedürfnisse, regulatorische Vorgaben und hohe Kapitalkosten als zentrale disruptive Faktoren.
Weltweit hingegen rücken technologische Entwicklungen stärker in den Fokus: 38 Prozent der internationalen CEOs sehen neue Technologien und Künstliche Intelligenz als wesentliche Bedrohungen. Interessanterweise bewerten nur 31 Prozent der deutschen Führungskräfte technologische Innovationen als bedeutende Gefahr für ihre Geschäftsmodelle. Hier könnte der Fokus fehlgeleitet sein.
Im Gegensatz dazu sind asiatische CEOs wesentlich technologieaffiner. In Japan erkennen 47 Prozent und in China 43 Prozent die Relevanz von neuen Technologien und KI als Disruptionsfaktor.
Diese Unterschiede spiegeln eine konservativere Haltung deutscher Unternehmenslenker wider, während in Asien der Fokus klar auf technologische Anpassungsfähigkeit liegt.
Ergo identifiziert das Team von EY einen falschen Fokus, der Innovation und Disruption schwer bis unmöglich macht:
„Wenn die Hauptsorge der Einhaltung regulatorischer Anforderungen gilt, ist das ein Indiz dafür, dass in Deutschland oft eine sehr konservative und risikobewusste Haltung eingenommen wird. Man konzentriert sich auf die Optimierung des Bestehenden und erschafft kaum noch völlig neue Produkte und Dienstleistungen.“
Rückgang bei Fusionen und Übernahmen: Deutsche Unternehmen bleiben vorsichtig
In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und hoher Zinsen bleibt die Aktivität in Bezug auf Fusionen und Übernahmen auf niedrigem Niveau. Nur 29 Prozent der deutschen Unternehmen planen in den kommenden zwölf Monaten mindestens eine Fusion oder Übernahme. Im globalen Vergleich ist der Anteil ebenfalls gesunken, von 42 Prozent auf 37 Prozent.
Besonders in Deutschland zeigt sich eine ausgeprägte Vorsicht, was größere Investitionsvorhaben betrifft. Anstatt große Transaktionen durchzuführen, setzen deutsche Firmen zunehmend auf strategische Partnerschaften, um Risiken zu minimieren und Kosten zu senken.
Deutsche Unternehmen ruhen sich auf vergangenem Erfolg aus
Deutsche Unternehmen tendieren dazu, sich auf ihren langjährigen Erfolgen auszuruhen, was in der Vergangenheit durchaus effektiv war. Über Jahrzehnte sicherten sich deutsche Konzerne durch vorsichtige, langfristige Planung und Fokus auf Qualität Spitzenpositionen in verschiedenen Branchen weltweit. Diese Strategie, geprägt durch Risikominimierung und Perfektion, erwies sich nach EY durchaus als ein stabilisierender Erfolgsfaktor.
Doch mit der beschleunigten Entwicklung neuer Technologien und kürzeren Produktzyklen wird dieses Modell zunehmend problematisch. Während etwa in China und Indien 60 Prozent der CEOs angeben, dass ihre Unternehmen schnell auf disruptive Technologien reagieren können, sind es in Deutschland nur 49 Prozent.
Dieser Fokus auf Stabilität und Sicherheit hat hierzulande zu einer übermäßigen Bürokratisierung und Komplexität in deutschen Unternehmen geführt. Die Verantwortlichen der Studie weisen darauf hin, dass interne Strukturen die Flexibilität der Firmen erheblich einschränken. Agilität findet man kaum. Internationale Wettbewerber, die agiler auf Marktveränderungen reagieren, überholen deutsche Unternehmen. Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit riskieren mehr denn je die Chancen im globalen Technologie-Wettrüsten.